Barcelona

Auf der Weiterreise vom Camping Montroig nach Norden passieren wir schon bald Tarragona. Leider können wir das schöne Aquädukt vor Tarragona nicht besuchen, da von unserer Strassenseite her kein Zutritt möglich ist. Also schwelgen wir in Erinnerungen an unsere erste gemeinsame Spanienreise im März 2004, als wir das imposante Bauwerk besichtigten. Nach einer ruhigen Fahrt nach Les Masnou / Barcelona finden wir auf dem ältesten Camping der Region einen schönen Standplatz. Der Campingplatz ist einfach und die sanitären / elektrischen Installationen hätten wirklich eine Revision nötig, aber wir campieren auf einem sonnigen, erhöhten, ruhigen Platz mit Sicht aufs Meer und fühlen uns gut aufgehoben. Die Campingchefin gibt uns die nötigen Informationen für die Zugsfahrt zur Plaça de Catalunya und so fahren wir noch am selben Nachmittag in die Stadt hinein, die Peter schon seit mindestens 30 Jahren fasziniert. Ein erster kurzer Bummel auf der Rambla und dann spazieren wir durch das Barri Gòtic. Der Platz vor der Kathedrale ist voller Leben: einheimische Senioren, die das Treiben beobachten oder miteinander plaudern, Familien mit Kindern, die sich über die enorm grossen und schillernden Seifenblasen eines Strassenkünstlers freuen und natürlich viele Touristen, die auf der Treppe vor der neugotischen Hauptfassade der Kathedrale an der Sonne sitzen. Es ist Sonntag, und darum ist ein grosser Teil der Kirche (1298-1448 erbaut) für den Gottesdienst abgesperrt. Wir entschliessen uns, daran teilzunehmen, um in Ruhe unsere Blicke im Hauptschiff mit der Orgel, dem Chorgestühl aus dem Spätmittelalter/Renaissance und im Chor (katalanische Gotik) wandern zu lassen. Zu unserer grossen Überraschung amtiert neben dem Organisten ein junger Kantor mit einer sehr schönen Stimme. Er singt die Gemeindelieder vor, dann singt die Gemeinde mit seiner Hilfe und unter seinem Dirigat die Lieder mit. Esther freut sich auch darüber, dass sie den Inhalt der Predigt (Begegnung der Jünger mit dem auferstandenen Jesus und die Haltung von Thomas) gut versteht. Es nehmen sehr viele Spanier an der Messe teil und wir sind glücklich, dass wir diesen Gottesdienst miterleben.

Anschliessend bummeln wir zum Palau de la Música Catalana und kaufen dort gleich Tickets für ein Orgelkonzert am Montag im grossen Konzertsaal. Da wir Senioren (jubilados) sind, zahlen wir für die Plätze mit guter Sicht auf Hände und Füsse des Musikers nur 6 € pro Person, obwohl Héctor París ein in ganz Europa bejubelter Organist und geschätzter Musikdozent ist. Eine solch grosszügige Kulturförderung für Senioren würden wir in der Schweiz auch schätzen! Im Foyer bewundern wir bei einem frisch gepressten Orangensaft bereits die reiche Ornamentik.

Am Montag fahren wir auf den Tibidabo, einen der beiden Hausberge von Barcelona. Das Wetter ist ideal und wir geniessen einen klaren Blick auf Barcelona und sein Umland, denn es hat keine Feuchtigkeit oder gar Smog in der Luft! Leider fährt die bekannte Tramvia Blau nur am Wochenende, aber mit dem Bus kommen wir auch zur Talstation der Zahnradbahn, die zum Gipfel auf 524 Meter führt. Dort trifft man auf eine höchst eigenartige Mischung von Sehenswürdigkeiten: am höchsten Punkt steht die gewaltige Kirche El Sagrat Cor (Kirche des Heiligen Herzens), die gekrönt wird von einer riesigen Jesus Statue. Mit einer weitausladenden Geste segnet er Stadt und Landschaft. Gleich daneben gibt es den ältesten Vergnügungspark Spaniens (Muntanya Mágica genannt) mit alten und neuen Attraktionen (z.B. das rote Flugzeug von 1928, das man früher als vorbereitendes Training für eine Flugreise empfahl) Zudem gibt es ein weitläufiges Gebiet, wo man spazieren kann und einen hübschen alten Wasserturm, sowie den Fernsehturm Torre de Collserola, der 255 Meter hoch ist und vom berühmten Stararchitekten Sir Norman Forster entworfen wurde. Natürlich sehen wir uns die neugotische Kirche (Grundsteinlegung 1902) genau an.

Angetan sind wir von einem Glasfenster, das die Versuchung Jesu durch den Teufel zeigt, wobei als Hintergrund des Geschehens eindeutig die Stadt Barcelona zu sehen ist (Matth. 4, 8-11 „Dies alles das werde ich dir geben, wenn du mir zu Füssen fällst und mir huldigst“= tibi dabo). Ein absolutes Muss ist natürlich der Blick von der Kirchenterasse. Wir fahren mit dem Lift hoch und steigen aber anschliessend auch noch die rund 120 Treppenstufenhinauf zur kleinen Plattform direkt unter den Füssen der Christusstatue auf dem mittleren Kirchturm. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick über die Grossstadt Barcelona, das bergige Hinterland und das Meer.

Nachdem wir uns sattgesehen haben, fahren wir zurück an die Plaça de Catalunya, verpflegen uns im El Corte Inglés, von dessen Restaurant im 9.Stock man eine unverbaute Sicht über einen grossen Teil der Stadt hat. Sehr viele der bekannten Sehenswürdigkeiten kann man von hier aus sehen und zudem scheint ab dem späten Nachmittag die Sonne ins Restaurant, was den Aufenthalt noch angenehmer macht. Um 20 Uhr sind wir dann im sehenswerten Foyer des Palau de la Música Catalana, um bei Türöffnung zügig zum Konzertsaal hochsteigen zu können. Wir freuen uns auf das Orgelspiel, aber ebenso wichtig ist es uns, den ganz besonderen Konzertsaal vorgängig in Ruhe bewundern zu können. Vor 11 Jahren waren wir schon einmal in einem Konzert mit Klavier und Streichinstrumenten und waren vom Ambiente und der Akustik des Saales sehr beeindruckt. Damals sassen wir in den seitlichen oberen Rängen, diesmal haben wir Plätze in der 9. Reihe in Saal unten. Die Besonderheit des Saales nimmt uns aber auch hier wieder gefangen. Seit mehr als hundert Jahren steht das prunkvoll ausgestattete Konzerthaus als Symbol der immer wieder angestrebten Eigenständigkeit der Katalanen. Das Haus wurde für den Katalanischen Nationalchor Orfeó gebaut, der noch immer hier seinen Sitz hat. Üppige und symbolträchtige Verzierungen aus Keramik, Stein Glas und Ton machen es schwer, sich ganz auf die Musik zu konzentrieren und darum ist es vorteilhaft, dass wir vorgängig genug Zeit haben, unsere Augen schweifen zu lassen. Aber der musikalische Genuss ist ebenso gross wie der optische. Wir hören Werke von J.S. Bach, Bernat Vivancos (sehr modern, aber faszinierend dargeboten),Alberto Ginastera, Franz Liszt und Richard Wagner brillant gespielt von Héctor París.

Am nächsten Tag steht ein weiterer Höhepunkt der Reise auf unserem Programm. Wir haben Eintrittskarten für die Kathedrale Sagrada Família (Heilige Familie), Antoni Gaudís Meisterwerk bestellt, um die lange Warteschlange vor der Billetkasse zu vermeiden und freuen uns darauf, diese gewaltige Kirche nach 12 Jahren wieder zu besichtigen. Gaudí selber hat für den Bau dieser Kathedrale eine Bauzeit von 200 Jahren veranschlagt, aber jetzt hofft man, zu seinem 100.Todestag im Jahr 2026 damit fertig zu werden. Die Grundsteinlegung für das ursprünglich von einem anderen Architekten als neugotische Kirche geplante Bauwerk erfolgte 1882.

Als Gaudí 1911 die Bauleitung übernahm, war erst die Krypta fertig. Gaudí entwickelte seine eigenen Ideen, hinterliess aber bewusst keinen detaillierten Gesamtentwurf, denn er war der Ansicht, zukünftige Generationen sollten eine Mitsprache an der Gestaltung des gigantischen Gebäudes haben. Die fertige Kirche wird 18 unterschiedlich hohe Türme haben. Im Zentrum wird als höchster Turm der Christusturm 170 Meter in die Höhe streben. Die Ostfassade trägt noch die Handschrift Gaudís und ist dem Leben Jesu gewidmet.

Peter verfolgt den Bau der Kirche seit mindestens 30 Jahren mit grossem Interesse. Beiunserer letzten Besichtigung war der Innenraum noch eine gewaltige Baustelle, aber seit 2010 ist die fünfschiffige Basilika mit den drei Querschiffen gedeckt und geweiht. Als wir 2004 am Palmsonntag in Barcelona waren, war das Gotteshaus nur für Mitglieder der Pfarrei zugänglich und Touristen hatten keinen Zugang. Das ist eine wichtige Massnahme, denn bei unserem Besuch haben wir den Eindruck, dass 90% der Touristen nicht bedenken, dass sie sich in einer Kirche aufhalten, sondern sich so aufführen, wie wenn sie sonst eine Sehenswürdigkeit besuchen (laut schwatzen, sich vordrängen, um schnell ein „selfie“ zu machen).

Obwohl wir erahnen, dass der Innenraum gewaltig wirken wird, verschlägt es uns beim Eintritt fast den Atem. Der Raum wirkt wie ein fantastische Märchenwald mit unzähligen schlanken Säulen und bis zu 75 Metern hoch aufragenden Gewölben, durchflutet von viel Licht, das sich in den farbigen Fenstern bricht und den Raum mit unbeschreiblichen Farbtönen füllt. Tatsächlich war Gaudís grösstes Vorbild die Natur mit ihren schwerelos wirkenden Strukturen.